Die Frage

„Möchte sonst noch jemand etwas wissen?“ ließ ich eine Stimme stellvertretend für mich in den Raum werfen. Es war ruhig geworden. Und ehrlich gesagt erwartete ich mir nicht mehr allzu viel Resonanz auf meine doch eher rhetorische Frage. Schließlich waren bereits die letzten Minuten angebrochen. So schweifte mein Blick fast schon selbstverherrlichend durch die Gesichter der Studenten. Doch plötzlich gab sich, aus der hintersten Reihe, eine junge Frau zu erkennen und widerlegte mit einem Mal meinen Irrglauben eines vorzeitigen Endes. Zögernd und doch mit einem gewissen Nachdruck streckte sie ihren Arm aus und stellte ihre Frage. Eine Frage, die sich allmählich wie ein roter Faden durch meine, zugegeben durchaus überschaubaren, Vorträge zieht. Doch diesmal war es anders. Diesmal war die Intention der Fragenden eine andere. Es schien so als hätte sie mich mit ihrer Frage – völlig unbewusst – in eine Ecke gedrängt und würde erst wieder von mir ablassen, wenn ich ihr eine halbwegs plausible Antwort liefern könne. Mir war aber ziemlich schnell bewusst, dass ich ihr in der Kürze der Zeit nicht einmal annähernd eine befriedigende Reaktion darauf geben konnte – zumal ich mir selbst erst eine passende Antwort zurecht legen musste…

„Wie…? Wie kommt es, dass du so positiv und lebenslustig bist??
Ich stell mir das alles so mühsam vor. Ist es nicht unglaublich mühsam?“

Ein, mir unerklärlicher, zartbitterer Beigeschmack überdeckte die süßliche Note der Frage und so kam es, dass sie mich selbst Tage später immer noch beschäftigte. Wobei ich nicht genau wusste, was mich daran so irritiert hatte. Ließ mich die Frage an sich nicht mehr los, oder war es doch eher der Fakt, dass ich plötzlich das Gefühl hatte, mich wieder einmal rechtfertigen zu müssen? Rechtfertigen, dass ich mit meiner Andersartigkeit zurechtkomme? Rechtfertigen, dass ich trotz allem glücklich bin? Rechtfertigen, dass ich mein Leben lebe? Sich dafür rechtfertigen zu müssen, erschien mir so absurd und gleichzeitig ertappte ich mich dabei wie ich den Spieß – sofern da jemals einer gewesen ist – kurzerhand umgedreht habe. Ich ertappte mich wie ich die junge Studentin aufgrund ihrer Frage (und meiner daraus resultierenden Assoziation) einfach in eine Schublade gesteckt habe. Und bin ich eigentlich nicht immer diejenige, die solch ein Schubladendenken kritisiert und die Vielfalt der Menschheit sowieso als viel zu mächtig erachtet als in einer Schublade je Platz wäre? Vermutlich bin ich einfach sehr schlecht darin Komplimente anzunehmen und da wird wohl auch der Hund, für meine anfängliche Überforderung und das Misstrauen der Fragenden gegenüber, begraben liegen.

Auch wenn ich in dem Moment zu folgender Antwort gekommen bin …

„Ja, mühsam ist es. Aber behindert bin ich schon, warum soll ich mir es noch
unnötig schwer machen und missmutig durchs Leben fahren?“

… so denke ich heute, wahrscheinlich hätte es ein Dankeschön auch getan.

9 Antworten auf „Die Frage

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  1. Vielleicht ein anderer Blickwinkel: an sich ist diese Frage doch eine Anerkennung deiner Persönlichkeit. Menschen erwarten nicht, dass Menschen mit Einschränkungen genauso normal und genauso gestört wie jeder andere sein kann. Auf so eine Frage ist meiner Meinung nach gar keine „Rechtfertigung“ nötig, sondern vielleicht eher eine Gegenfrage: Warum sollte ich anders sein?

    Was ich immer wieder bemerke ist, dass ich mir Dinge viel schlimmer ausmale, als sie sich im Endeffekt anfühlen, wenn sie dann tatsächlich eintreten. Klar, ist in vielen Dingen ein komplett anderes Level, doch vielleicht zumindest im Ansatz vergleichbar?

    Vielleicht wäre die wichtigere Frage für die Studentin in dem Fall gewesen, was genau einen Menschen allgemein lebensfroh macht und wie jeder dieses etwas für sich persönlich finden und lernen kann und warum ein Mensch, der durch Umstände ein „erschwertes“ Leben führt diese Dinge haben kann, während andere daran scheitern.

    Liebe Grüße!

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    1. Es war auf jeden Fall die volle Anerkennung und eben ein riesen Kompliment – nur wusste ich nicht damit umzugehen. Denn eben wie du sagst (und das meinte ich grob ausgedrückt mit Rechtfertigung), wieso sollte ich anders sein? Wieso sollte ich deshalb weniger glücklich sein? Die (für mich sehr intensive, ehrliche) Frage dürft in mir einfach was ausgelöst haben und mir tut es leid, dass ich in dem Moment nicht die Zeit und die mentale Stärke hatte, ihr da eine umfangreiche Antwort zu liefern.
      Ich habe schon oft das Gefühl, dass Menschen eher dazu tendieren behinderten Personen ein nicht so erfülltes Leben (was auch immer das heißt) zusprechen, als bemitleidenswert und arm empfinden – und wenn man dann von dem Bild abweicht, nicht selten auf Empörung stößt. Wurde schon mehrmals auf der Straße völlig entsetzt angesprochen: „Was haben Sie denn zu Lachen?!“ Irgendwie dürft‘ mein Weg wie ich dem Leben begegne nicht so gang und gäbe sein – und irgendwie triggert mich das oft, selbst in sehr positiven Situationen, weil die Frage für mich so etwas grundlegendes ist und es für mich einfach keinen anderen Weg gibt.

      Wow, wenn die Studentin eigentlich deine Interpretation der Frage gemeint hat, dann tut es mir gleich noch mehr leid, sie nicht ausführlich beantwortet zu haben. Das ist ein extrem spannender Ansatz, der mich irgendwie auf die (fast schon zu Kult gewordene) Phrase „Ich bin nicht behindert, ich werde behindert!“ bringt… Glaub ich muss mir das ausborgen und darüber einen Text schreiben – wenn das ok ist?

      Danke für die Denkanstöße!

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      1. Borg dir meine Denkanstöße gerne aus! Ich bin super gespannt, was du zu dem Thema zu schreiben hast 💚

        Für deine Empfindungen und Reaktion musst du dich aber auch nicht schlecht fühlen. Manchmal ist es einfach so, dass etwas, das ein anderer Mensch sagt, ganz anders wahrgenommen wird. Wir können nicht in die Köpfe der anderen schauen (vielleicht manchmal ganz gut? 😂) und leben mit unserer eigenen Wahrnehmen dessen, was sie uns geben – und da können durchaus riesige Unterschiede existieren. Von daher: wahrscheinlich war sie von dem, was du gesagt hast, so oder so überrascht und hat eh nur das verstanden, was sie verstehen konnte und wollte 😁

        Liebe Grüße!

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  2. Und wie würdest Du diese Antwort finden?: „Ich bin wie ich bin seit meiner Geburt und ich kenne es nicht anders, warum sollte ich da nicht glücklich sein, auch wenn Du Dir das so schwer vorstellen kannst?“

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    1. Inhaltlich bin ich da voll bei dir, nur ich finde es angesichts dessen, dass es (zumindest im Nachhinein gesehen) ein sehr schönes Kompliment war, die Formulierung etwas zu schroff gewählt. Aber genau bei diesem schmalen Grad tue ich mich oft so schwer beim Differenzieren: was war jetzt einfach nur nett gemeint und wo muss man aufpassen, nicht in die nächstbeste Schublade gesteckt zu werden…

      By the way, schön dass du mich gefunden hast! 😊

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      1. Ja, ich versteh Dich, ich bin da immer sehr norddeutsch direkt. Du machst das schon ganz richtig.
        Ja das finde ich auch, schön Dein Blog! Da werde ich jetzt öfters drin lesen.
        Liebe Grüße
        Paula

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  3. In der Kürze der Zeit hätte ich vielleicht gesagt:
    „Danke für das Mitgefühl. Die Situation erzwingt ein gewisses Training, und mit genügend Übung wird alles wieder leichter.“
    Eine solche Antwort ist aus der Distanz und ohne den situativen Druck natürlich leichter – ich bin auch erst nach zwei Minuten drauf gekommen.
    👍🍀🤗

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    1. Das ist eine sehr umsichtige Formulierung, allerdings wäre sie irgendwie nicht ganz stimmig für mich. Ich trainiere seit jeher um den Status meiner Behinderung möglichst konstant zu halten. Aber es stimmt schon, ich habe das Glück dabei gesund und fit zu sein – deshalb tue ich mir auch oft schwer, solche Fragen nachvollziehen zu können, da ich mir denke, ich habe es eh noch gut erwischt…

      Danke, dass du deine Gedanken dazu teilst. 🤗

      Gefällt 1 Person

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