Laut

In letzter Zeit wollen Worte nicht so recht aus mir herausströmen. Weder mündlich noch schriftlich. Und gerade letzteres ist eher untypisch für mich. Es ist so als ob der Jonglierer plötzlich seinen Flow verloren und Mühe hat, die Bälle auch nur für ein paar Sekunden in der Luft zu halten. Ich habe keine Ahnung, wie ich auf diesen absurden Vergleich komme, aber so in etwa fühlen sich meine Gedanken momentan an. Ich denke es liegt auch daran, dass meine Kopfstimme ziemlich am durchdrehen ist und ich als Besitzerin dieser Kopfstimme dezent gefordert werde.

Um bei meinem fragwürdigen Beispiel zu bleiben, wäre meine Kopfstimme dann also das äußerst empathische Kind, das dem Jonglierer immer mehr Gegenstände zuwirft, obwohl es sieht, dass dieser nicht mal mehr mit den paar Bällen in seinen Händen zurechtkommt. Vielleicht werden sich das ein oder andere Elternpaar mit diesem Bild identifizieren können. Wenn dem so ist, lasst euch eins gesagt sein: ich fühle mit euch! Wenn die Kleinen dann auch noch die Geduld verlieren, was gefühlte 10.000 Mal am Tag vorkommt, wird der nette, tollpatschige Jonglierer plötzlich zur Zielscheibe ihrer Launen (an dieser Stelle müsst ihr euch eine düstere Horrormelodie vorstellen)…

Das wohl größte Manko ist allerdings, dass ich in ein und demselben Körper mit diesem, zugegeben oftmals auch recht liebenswürdigen und einzigartigen, dennoch sehr selbstzerstörerischen, kleinen Monster lebe. Denn im Gegensatz zu anderen Erziehungsbeauftragten kann ich meine Kopfstimme nicht „einfach“ ins Bett schicken. Die Definition «unzertrennlich» trifft es in dem Fall sehr gut. Dies hat auch zur Folge, dass ich sowohl die Launen als auch die daraus resultierenden Konsequenzen meiner Kopfstimme ausbaden muss. An ihren aktivsten Tagen tobt sie nämlich so herum, dass sich mein Kopf anfühlt als würde er jeden Moment zerplatzen. Das ist ein weiterer Grund (den anderen beschreibe ich hier), warum ich die Schreikrämpfe von Kindern durchaus verstehen kann – unterdrückte Energie führt einfach zu massiven Kopfschmerzen.

Da ich – ich muss fast ein „leider“ hinzufügen – sehr gut zivilisiert bin und mein Verlangen darauf loszuschreien gekonnt unterdrücken kann, habe ich mir im Laufe der Jahre andere Strategien zurecht gelegt um meine Kopfstimme jederzeit wieder halbwegs beruhigen zu können. Und selbst hier kann man klare Parallelen zu Kindern erkennen. Denn auch meine Kopfstimme möchte in den meisten Fällen einfach nur beschäftigt und/oder abgelenkt werden. Am einfachsten klappt dies mit Musik. Oder wenn ich mich versuche auf etwas zu fokussieren, das gerade selbst sehr aktiv ist. Beispielsweise „ein sich in der Hand drehender Stift“ kann bereits dazu beisteuern, dass sich das Gewitter in meinem Kopf allmählich auflöst. Spielende, tobende Kinder oder Tiere zu beobachten, trägt oftmals auch zur Entspannung bei. Lachen ist ein weiterer simpler Weg um die angestaute Energie rasch wieder loszuwerden. Jede noch so kleine Ablenkung reduziert den Druck in meinem Kopf und lässt meine Kopfstimme leiser, ruhiger werden.

Und wenn das alles nicht hilft, dann bekommt mein Gegenüber sein Fett ab und muss bei einem erbarmungslosen Direktangriff daran glauben. Da soll noch einmal jemand sagen, Schach sei ihr/ihm zu verhalten und ruhig.

Wenn ihr also das nächste Mal eine – zwischen einer Herde von Kindern – sich im Kreis drehende, lauthals lachende Rollstuhlfahrerin seht, die gerade jemanden Schachmatt setzt, bin das ich, die gerade dabei ist, ihre Kopfstimme zu beschäftigen. 😉

9 Kommentare zu „Laut

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      1. Schreiduell: Kopfstimme vs. Besitzerin – am Ende gewinnt die mit dem längeren Atem. Kommt mir auch bekannt vor. 😉
        Und ich denke, es kommt gar nicht so auf Techniken an, solange man sich irgendwie Luft machen kann, ist es gut.

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      2. Ja, ich neige hier eher dazu, mich vollkommen zurückzuziehen und alles mit mir selbst auszumachen, wenn mir meine Kopfstimme zu viel wird. Das ist auch nicht unbedingt der beste Weg.

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  1. Für mich ein sehr informativer und lehrreicher Eintrag, liebe Kopfstimme. Ich habe wieder einmal bemerkt, wie wichtig es ist, Dinge WISSEN zu lernen, damit man vor vorschnellem „Urteil“ zurückzieht. – Es muss ganz schön schwer sein, ein solches Inneres zu händeln, und nu musst überdies noch so viel Kraft aufbringen (und tust das ja ganz bewundernswert, um auch Deine Motorik zu steuern und bisweilen im Zaume zu halten.

    Dass Dir bei all dem nicht immer nach Schreiben ist oder es auch einfach nicht klappen will, kann ich immerhin gut nachvollziehen. Aber weißt Du was? – Seit einiger Zeit, redest Du ganz oft still mit mir – immer wenn ich mach an Zeilen von Dir erinnere, an Deinen Zuspruch, Dein Vertrauen, Deine Offenheit. Du hast eine schöne Stimme …

    Liebe Grüße an Dich! 💚🤗

    Gefällt 1 Person

    1. Dass du jemand bist, der dazu neigt voreilige Urteile zu fällen, kann ich mir bei dir sowieso nicht vorstellen. Und trotzdem tut es mir leid, dass ich noch immer nicht ausführlich zurückgeschrieben habe…

      Ich kann mir die Ironie einfach nicht verkneifen: DANKE! – Du bist der erste, der mich auf Anhieb versteht!! 😅🤗
      Und danke, dass du so genau hinhörst!

      Hab einen feinen Samstag 🌞

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